Die Lockstockmethode - eine nicht invasive Methode zum Nachweis
der Europäischen Wildkatze (Felis silvestris silvestris)
von Karsten Hupe und Olaf Simon (März 2007)
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Einleitung
Als sicherer Nachweis zum Vorkommen der Europäischen Wildkatze
- insbesondere außerhalb der bekannten Populationsareale (POTT-DÖRFER
& RAIMER 2004) - zählt der Totfund (z.B. Verkehrsopfer).
Eine sichere Unterscheidung von Wild- und Hauskatze ist durch Messung
der Darmlänge möglich (z.B. MÜLLER 2005; PIECHOCKI
1990). Sichtbeobachtungen liefern wertvolle Hinweise auf mögliche
Neubesiedelungen, können aber grundsätzlich nicht als
absolut sichere Nachweise eingestuft werden.
Auf Grund der überwiegend dämmerungs- und nachtaktiven
Lebensweise der Wildkatze ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass
die Wildkatze in einem bis heute als wildkatzenfreiem Gebiet geltenden
Waldkomplex in der Peripherie des bekannten Populationsareal anwesend
ist, jedoch lange Zeit unbeobachtet bleibt. Mit Hilfe der Lockstockmethode
(JOHN L. WEAVER ET AL. 2003; MOWAT & PAETKAU 2002; ZIELINSKI
& KUCERA 1995) besteht die Möglichkeit des morphologischen
Nachweises der Wildkatze durch gewonnene Wildkatzenhaare (HUPE,
2006). Darüber hinaus können seit wenigen Jahren genetische
Analysen (ECKERT & HARTEL 2005; HILLE ET AL. 2000; PIERPAOLI
ET AL. 2003; RANDI ET AL. 2002) insbesondere bei der Klärung
von Zweifelsfällen (wenig Probenmaterial, mögliche Phänotyp-Verwechselung
mit der Hauskatze, Blendling) zu einer eindeutigen Artbestimmung
führen.
Auf der Grundlage eines durch Lebendfang und Telemetrie in zeitlicher
Kontinuität von zehn Jahren intensiv bearbeiteten und gut untersuchten
Wildkatzenlebensraumes im Südlichen Solling wurde die Methode
erstmals in Deutschland angewandt (HUPE ET AL 2004) und über
drei Jahre hinweg weiterentwickelt. Parallel dazu wurde mit derselben
Methode im Leinebergland gearbeitet (HUPE 2006). Dabei wurde erprobt,
welche Zahl an Lockstöcken pro Fläche für den Artnachweis
ausreichend sein kann.
Untersuchungsgebiet
Das Untersuchungsgebiet (USG) befindet sich im Südwestteil
des Sollings (51°38' _ 45' N und 9°23' - 40'E ), einem bewaldeten
Höhenzug in Südniedersachsen, und umfasst eine Fläche
von ca. 3.500 ha. Innerhalb des Sollings stellt das Niedersächsische
Forstamt Winnefeld das Zentrum der Untersuchungen dar. Der größte
Teil des USG befindet sich in Höhenlagen zwischen 250 und 450
Meter über NN. Im Weserdurchbruchstal zwischen Solling und
Reinhardswald finden sich aufgrund der zusätzlichen Tiefenerosion
der Weser Hangneigungen von über 450.
Nach den Unterlagen der Standortkartierung des Forstamtes Winnefeld
liegt die jährliche Niederschlagsmenge im USG bei 850 bis 900
mm. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt für die
nähere Umgebung von Winnefeld 7,50C, die mittlere Zahl der
Tage mit Schneedecke 63. (STANDORTKARTIERUNG DES FORSTAMTES WINNEFELD,
1962). Hauptbaumarten sind Buche, Fichte und Eiche in Rein- und
Mischbeständen in allen Altersklassen.
Die Wildkatze besiedelt den Solling seit der letzten Eiszeit vermutlich
in durchgängiger Kontinuität. Zusammenführende Daten
zu Sichtbeobachtungen und Todfunden im Solling wurden seit den 1990er
Jahre publiziert (HUPE 2006, MARTENSEN & POTT-DÖRFER 1998).
Methode
Die Methode bedient sich einer natürlichen
Verhaltenseigenschaft vieler Raubsäuger (REIGER 1979). Insbesondere
während der Paarungszeit (hier Ranz) markieren Wildkatzen außer
mit Urin auch durch Reiben ihres Körpers an einem Gegenstand
(z.B. Baumstucken). Dies geschieht vorzugsweise mit dem Kopf-, Hals-
und Nackenbereich (MELLEN 1993), aber auch mit dem gesamten Körper.
 
Wildkatze reibt sich am Lockstock (links), Wildkatzenhaare
am Lockstock (rechts) |
Diese Verhaltensweise der Wildkatze bietet die Möglichkeit,
ohne Fang oder direkten Kontakt an Haare von einem lebenden Individuum
dieser Tierart zu gelangen.
Eine ca. 60 cm lange, sägeraue und angespitzte Dachlatte
wird ca. 20-30 cm in den Erdboden eingeschlagen. Das obere Drittel
der aus dem Erdboden ragenden Dachlatte wird unter zu Hilfenahme
eines Zerstäubers (z.B. Blumenspritze) mit Baldriantinktur
(unverdünnt) eingesprüht. Olfaktorisch angelockt durch
den Baldriangeruch, reiben sich die Tiere an dem Stock. Die am
Stock verbleibenden Haare werden abgesammelt und nach der Art
bestimmt.
Um alle Haare einer Probe während der Kontrolle zu entfernen,
wird der beprobte Lockstock nach der Probenentnahme abgeflammt
(Feuerzeug, Gasbrenner). Anschließend wird der Lockstock
erneut mit Baldriantinktur in beschriebener Weise besprüht.
Ergebnisse
Im Rahmen der Feldforschung an der Europäischen Wildkatze
im Solling (1998) wurde die Wildkatze mit lebend fangenden Holzkastenfallen
gefangen. Zur Erhöhung der Attraktivität der Fallen
wurden diese innen und außen zusätzlich mit Baldriantinktur
besprüht. Als "Beifang" konnten regelmäßig
Wildkatzenhaare im Außenbereich der mit Baldrian besprühten
Flächen der Fallen gewonnen werden.
Diese Erfahrungen veranlassten zu dem Versuch, in Wildkatzenvorkommensgebieten
sägeraue Dachlatten in den Erdboden zu treiben, selbige mit
Baldrian zu besprühen und nach einigen Tagen diese Dachlatten
zu kontrollieren. Es befanden sich alle für Wildkatzen typische
Haare an den Lockstöcken. Mit Hilfe einer Fotofalle wurde
das Verhalten der Wildkatze an den Lockstöcken dokumentiert
und die Methode erfolgreich überprüft.
Seitdem wurde die Lockstockmethode im nordwestlichen Harzvorland,
im Leinebergland und im Solling (alle Untersuchungsgebiete liegen
in Niedersachsen) mit Erfolg eingesetzt (HUPE ET AL. 2004, HUPE
2005, HUPE 2006).
Die Erfahrung aus dem Fallenfang zeigt, dass sich als Beprobungszeitraum
vor allem die Ranzzeit in den Monaten (November) Dezember bis
März (April) anbietet. Außerhalb dieser Zeitspanne
war der Fangerfolg negativ. Insbesondere die Zeit von Januar bis
März verspricht für einen Lockstockeinsatz den größten
Erfolg.
Der zeitlich optimale Kontrollrhythmus der Lockstöcke beträgt
sieben Tage und sollte 14 Tage nach Möglichkeit nicht überschreiten.
Die zielgerichtete Beprobung, d.h. räumliche Standortwahl
und Installation der Lockstöcke im Gelände und erste
makro- und eventuell mikroskopische Auswertungen der Haarproben
erfordert den Einsatz von wildkatzenerfahrenen Spezialisten. Die
Qualität der Haarproben, d.h. die Anzahl und Zusammensetzung
der gefunden Haare, kann stark variieren und erstreckt sich von
wenigen Haaren (ca. 5-10) bis zu Haarbüscheln. Beim Haarkleidaufbau
der Wildkatze werden säugetiertypisch drei Haartypen unterschieden:
Woll-, Grannen- und Leithaar. Insbesondere das Leithaar, durch
seine Länge (5-7 cm), wie auch das Gesamtbild aller Haartypen
einer Probe ermöglichen es dem Spezialisten, bei einer ausreichenden
Anzahl an Haaren, den Artnachweis zu führen. Nicht eindeutige
Proben bedürfen zum zweifelsfreien Artnachweis der genetischen
Analyse.
Lockstocktaxierung pro Flächeneinheit
Die Aktionsraumgröße der im Solling untersuchten weiblichen
Wildkatzen liegt zwischen 250 und knapp 2000 ha und die der männlichen
Tiere zwischen 1300 und 11000 ha (Berechnungsmethode: 95% kernel
estimation) (HUPE, 2002). Mit gleicher Methode erhobene Vergleichsdaten
in einer Wildkatzenpopulation aus dem nordwestlichen Harzvorland
(3 Katzen, 1 Kuder) bewegen sich ebenfalls in dieser Größenordnung
(HUPE ET AL. 2004).
Vorrangig sollte der Nachweis der Wildkatze in potentiellen für
Wildkatzen geeigneten Gebieten sein, um zeitnah z.B. unterstützende
Schutzmaßnahmen etablieren zu können. Hierfür
ist die Anwendung der nicht invasiven Lockstockmethode sehr gut
geeignet.
In der Wildkatzenpopulation des Solling sind seit Mitte der 1990er
Jahre steigende Zahlen an Sicht- und Geheckbeobachtungen zu verzeichnen
(HUPE 2006). Seit 1998 werden in einem begrenzten Areal dieser
Population von ca. 40 km² regelmäßig für
fortlaufende Forschungsstudien Wildkatzen gefangen. Aus empirischen
Näherungen seit nunmehr neun Fangjahren zeigt sich, dass
die optimale Fallendichte in diesem Gebiet mit einer Falle auf
300 ha bis 550 ha erreicht wird. Aus den Ergebnissen der Fallenfangdichte
lassen sich nun Analogieschlüsse für die hinreichend
notwendige Anzahl einzusetzender Lockstöcken pro Flächeneinheit
ziehen, um den Wildkatzennachweis zu erzielen.
Unter Berücksichtigung der örtlichen Habitat- und Geländestrukturen
und der Bearbeitung durch einen Spezialisten (nur der mit dem
Raumverhalten der Wildkatze vertraute Spezialist kann eine möglichst
optimierte Standortauswahl der Lockstöcke treffen) ist in
einem Wildkatzengebiet am Beispiel des Sollings, entsprechend
der Fallendichte, zur Führung des Artnachweises die Installation
von 2-5 Lockstöcke je 1.000 ha (0,2-0,5 Lockstöcke /
100 ha) ausreichend.
In potenziellen Wildkatzenausbreitungsgebieten ist zur Führung
des Artnachweises die Installation von 6-15 Lockstöcke je
1.000 ha (0,6-1,5 Lockstöcke / 100 ha) zu empfehlen. Die
erhöhte Anzahl an Löckstöcken in Gebieten mit unsicherem
Status der Verbreitung führt erfahrungsgemäß schneller
zu eindeutigen Ergebnissen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt
der jahreszeitlich beschränkten Anwendbarkeit der Methode.
Diskussion
Der Erhalt seriöser Freilanddaten zur Verbreitung und Abundanz
von schwer erfassbaren Säugetieren gestaltet sich meist schwierig
und zeitaufwendig. Insbesondere für die Wildkatze gilt aufgrund
ihrer sehr heimlichen Lebensweise und räumlich begrenzten
Vorkommen, dass allein die Methode der Umfrage in ihrer Aussagekraft
begrenzt ist und Nachweislücken verbleiben.
Die Lockstockmethode hat sich als probates Mittel für den
nicht invasiven Nachweis der Europäischen Wildkatze erwiesen.
Voraussetzung ist eine fachliche Durchführung bzw. Begleitung
der Methodenanwendung durch einen wildkatzenerfahrenen Spezialisten.
Bei einer größeren Anzahl an Haaren in einer Probe
(bis zu Haarbüscheln) lassen sich in der Regel makroskopisch
eindeutige Artzuordnungen treffen. Sämtliche Haartypen sind
in ausreichend großer Anzahl zu finden und ermöglichen
es dem erfahrenen Betrachter die Probe eindeutig zuzuordnen.
Proben mit einer geringen Anzahl an Haaren (5-10 Haare) enthalten
fast ausschließlich weiße, kurze Haare aus dem Kopf-
und Halsbereich. Die Farbwirkung der Wildkatze wird durch die
Grannenhaare verursacht. In einer Probe mit wenigen Haaren finden
sich häufig nur ein bis zwei Grannenhaare, die für die
Fellfarbe der Wildkatze ursächlich sind. Die sehr langen
und eindeutig zuzuordnenden Leithaare fehlen in der Regel in einer
solchen Probe vollständig. Eine Verwechslung mit Haaren einer
getigerten Hauskatze ist unter diesen Voraussetzungen nicht auszuschließen.
Für die endgültige Artbestimmung einer Probe mit wenigen
Haaren ist eine Genanalyse daher unabdingbar.
Wildbiologische Untersuchungen zum Thema Verbreitung und Abundanz
von Säugetieren sind zahlreich, doch ihr Nutzen ist limitiert
sofern es sich um gefährdete, vom Aussterben bedrohte oder
heimliche Arten handelt (DAVID R. FORAN ET AL. 1997, MAXIME P.
PIGOTT & ANDREA C. TAYLOR 2003). Mit Hilfe der Lockstockmethode
kann morphologisch der Nachweis der Europäischen Wildkatze
zweifelsfrei erbracht werden. Die Ergebnisse gelten als eindeutige
Beweise für den Status der Verbreitung. Aussagen zur Abundanz
der Wildkatze können mit dieser Methode zur Zeit jedoch noch
nicht getroffen werden (SIMON ET AL. 2005).
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